Strategie im Scrabble

Scrabble läuft unter den althergebrachten Brettspielen oft unter dem Radar, was interessante strategische Spiele angeht. Hier möchte ich einen Überblick darüber geben, wie man das Spiel clever spielt.

Natürlich hat Scrabble sehr viel mit dem Wortschatz zu tun, und zum Turnierscrabble gehört es ganz entscheidend, sich einen "Spezialwortschatz" anzueignen mit Wörtern wie Kux oder Cure oder Quie, die nicht gerade zur Umgangssprache gehören, aber alle im Duden stehen und im Spiel sehr hilfreich sein können. Diesen Quatsch zu kennen ist schon eine Voraussetzung, um bei Turnieren wirklich vorne mitspielen zu können. Aber gleichzeitig macht unabhängig davon die richtige Strategie einen riesigen Unterschied, egal, mit welchem Wortschatz man arbeitet.

 

Grundlagen

Auf der strategischen Ebene geht es bei Scrabble nicht um Sprache. Es gewinnt ja nicht die Person mit den poetischeren Zügen, sondern die mit den punktreicheren. Entsprechend haben die Gewinnstrategien nur sehr indirekt mit Sprache zu tun, sondern viel mehr mit Wahrscheinlichkeiten, also Statistik. Das spiegelt sich auch in den Berufen der meisten Topspieler*innen wider, die gerade im internationalen Scrabble viel häufiger aus z. B. der Informatik kommen als aus der Sprachwissenschaft.

Der zweite Punkt, der vielleicht nicht unbedingt offensichtlich ist: das Ziel ist nicht, immer den punktreichsten Zug zu finden. Stattdessen möchte man sehr oft ein paar Punkte opfern - oder manchmal auch: sehr viele - um stattdessen andere Ziele besser zu erreichen. Schließlich ist das eigentliche Ziel ja, am Ende des Spiels möglichst viele Punkt zu haben oder besser gesagt: mehr Punkte als das Gegenüber. Statt immer auf die Maximalpunktzahl zu gehen, erreicht man das besser,

  • Indem man so spielt, dass man in den nächsten Zügen ebenfalls gute Chancen auf viele Punkte hat
  • Indem man die gegnerische Punktzahl möglichst gering hält, soweit man darauf Einfluss hat
  • Indem man Einfluss darauf nimmt, welche Gewinnmöglichkeiten das Spielfeld noch bietet und welche nicht (also z. B., ob noch Platz für lange Wörter frei ist oder nicht).

Nun spielt beim Scrabble ja der Zufall eine große Rolle, weil man Glück oder Pech mit den Buchstabenkombinationen haben kann, die man aus dem Beutel zieht. Man kann auch mit der richtigen Strategie also nicht erzwingen, dass man ein Spiel gewinnt. Aber man kann überlegen, wie es nach bestimmten Zügen weitergehen könnte und damit auch, welche Züge einem die besten Gewinnchancen geben.

 

Konkrete Strategien

Die Basis ist aber natürlich erst mal, gut darin zu werden, die punktreichsten Züge im aktuellen Zug überhaupt zu entdecken. Das ist natürlich nicht direkt eine Strategiefrage - man findet ihn oder man findet ihn nicht - aber man kann nachhelfen:

  • Gezielt nach Stellen auf dem Brett suchen, die punktreiche Züge ermöglichen (Hotspots).
    Das ist weit effektiver, als erst auf der Bank nach Wörtern zu suchen, die sich aus den eigenen Buchstaben ergeben, und dann festzustellen, dass man sie nirgendwo gut unterbringt.
  • Wörter so anlegen, dass sie ein bereits liegendes verlängern: dann bekommt man ja noch mal die Punkte für das schon liegende Wort. Solche Verlängerungen werden Hooks genannt und es lohnt sich manchmal, gezielt danach zu suchen, weil sie nicht immer offensichtlich sind: wenn Braten liegt, kann man mit einem A anschließen: abraten! Umgekehrt sind Backhooks - Verlängerungen am Wortende - oft deutlich einfacher, aber auch die können ungewöhnlich sein, etwa dass man Kamera nicht nur mit S verlängern kann, sondern auch mit D.
  • Das kann man noch weitertreiben, indem man mehrere Wörter gleichzeitig mithilfe von Parallelzügen (auch Mauerwerk genannt) bildet. Diese Züge sind ein ganz wichtiger Teil des Turnierspiels, Neulinge haben sie aber so gut wie nie als Möglichkeit überhaupt auf dem Schirm. Als Beispiel: liegt Dings als Startzug auf dem Brett, könnte man das Wort Opa unterbringen, indem man Opas mit dem S in Dings legt, aber weit besser wäre der Parallelzug: quer über Dings hinweg, sodass die Wörter Od, Pi und an entstehen, die alle zulässig sind.

 

Der zweite Baustein der Strategie besteht darin, dafür zu sorgen, dass man in den nächsten Zügen gut punkten kann. Das ist ein wichtiger Grund, warum man nicht immer die aktuell höchste Punktzahl mitnehmen will. Hier gilt das geflügelte Wort der Stieber Twins: Scrabble ohne Weitsicht, uuuh, ich weiß nicht.

Der wichtigste Punkt dabei ist die Restbank: die Buchstaben, die man nach einem Zug auf der Bank behält, sodass man im Folgezug damit weitermachen muss.

  • Gut sind generell die Buchstaben im Wort Inserat, die besonders flexibel einsetzbar sind und im Deutschen häufig vorkommen. Vor allem ein E sollte man nicht ohne Not weggeben - auch wenn es 15 davon im Buchstabensatz gibt, sodass man auch nicht total darauf fixiert sein muss.
  • Erst recht sollte man die beiden Blankosteine, die Joker, nicht zu leichtfertig einsetzen. Faustregel ist, dass einem der Zug, den man mit dem Joker spielt, 30 oder mehr Punkte zusätzlich bringen sollte, damit es sich lohnt. Das ist allerdings stark situationsabhängig.
  • Umgekehrt sollte man sperrige Buchstaben möglichst schnell loswerden, insbesondere Q, W, V, Ü, J, C.
  • Über die einzelnen Buchstaben hinaus kommt es aber vor allem auch auf die Kombination an. Zum Beispiel sind C, H und S für sich genommen nicht unbedingt überragend, aber die Kombination SCH ist klasse.
  • Dazu gehört auch, dass man Vokale und Konsonanten ausbalancieren möchte. Vor allem ein Überfluss an Vokalen kann einen sehr ausbremsen. Eine Restbank wie z. B. AEEI ist deshalb sehr heikel, obwohl es vier "Inserat"-Buchstaben sind.
  • Buchstabendopplungen sollte man versuchen aufzulösen: jede Dopplung halbiert ja die Anzahl der verschiedenen Kombinationen, die man bilden kann, und macht einen damit unflexibel. Eine Restbank wie EENNN ist ziemlich schwach, obwohl es wiederum alles "Inserat"-Buchstaben sind.
  • Im Zweifelsfall sollte man lieber zu früh als zu spät Buchstaben tauschen, statt ein Wort zu legen. Viele Neulinge sind viel zu zögerlich, in den sauren Apfel zu beißen und 0 Punkte für einen Zug aufzuschreiben. Bei Turnieren ist es umgekehrt eher die Ausnahme, dass in einem Spiel gar kein Tausch vorkommt!
  • Die eigene zukünftige Punktzahl kann man manchmal auch mit direkten Vorlagen für den nächsten Zug maximieren - sich eine Stelle auf dem Brett so eröffnen, dass die Buchstaben, die man behält, dort gleich sehr punktreich verwertet werden können. Das ist natürlich riskant, aber kann sich lohnen. Hier mein Video zu dieser etwas komplexeren Taktik.

 

Fehlt noch der dritte Punkt: defensives Spiel - die gegnerische Punktzahl einschränken also. Das heißt natürlich vor allem, keine lukrativen Stellen auf dem Brett zu eröffnen. Aber im Einzelnen gehört dazu:

  • Dreifache Wortwerte sind natürlich per se oft die gefährlichsten Stellen - aber nicht unbedingt. Es kommt stark darauf an, ob an die Stelle, die man eröffnet, tatsächlich realistisch Wörter gelegt werden können: ein freiliegendes E kann viel leichter genutzt werden als ein W.
  • Bestimmte Buchstaben neben dreifachen Buchstabenfeldern können gefährlich sein: ein L direkt neben einem dunkelblauen Feld kann schnell zu ÖL und NÖ in zwei Richtungen für 50 Punkte führen.
  • Auf hohem Spielniveau sind die Bingostellen oft die gefährlichere Kategorie: wo auf dem Feld könnten noch 7-8 Buchstaben am Stück gelegt werden, und wie realistisch ist die Stelle nutzbar? Bei Vorsprung kann es sehr wichtig sein, die gefährlichste solche Stelle zu erkennen und zu blockieren.
  • Auf offensiv ausgerichtete gegnerische Züge sollte man, wenn möglich, entsprechend reagieren, insbesondere auf Setups (s. o.).

 

Und zuletzt kommen noch einige Strategien dazu, die nicht spezifisch einer der genannten Kategorien zuzuordnen sind:

  • Buchstaben abstreichen bedeutet, mitzuprotokollieren, welche Buchstaben bereits gespielt wurden und daraus rückzuschließen, welche noch fehlen - am Ende des Spiels ist dann klar, welche Buchstaben auf der gegnerischen Bank sind, und man kann damit prinzipiell genau ausknobeln, welche Züge noch möglich sind.
  • Inferenz bedeutet aus einem gegnerischen Zug Rückschlüsse darüber zu ziehen, was für Buchstaben vermutlich auf der gegnerischen Bank sind, und entsprechend unterschiedlich zu reagieren.
  • Fischen ist der Versuch, ein bestimmtes Wort zu erwischen, an dem man aktuell nah dran ist - oft keine gute Idee, aber manchmal die letzte Gewinnmöglichkeit.
  • Turnover bezeichnet die Anzahl der Buchstaben, die man in einem Zug spielt - je nach Situation kann es sinnvoller sein, ein möglichst kurzes oder ein möglichst langes Wort zu spielen.
  • Phoneys sind Wörter, die nach den jeweiligen Regeln nicht gültig sind - in Turnierspielen kommt damit als mögliche Strategie hinzu, Wörter zu legen, bei denen man unsicher ist, oder sogar zu bluffen und ein Wort zu spielen, bei dem man weiß, dass es nicht zulässig ist, in der Hoffnung, dass es nicht beanstandet wird.
  • Im Endspiel und kurz davor - also wenn nur noch wenige Buchstaben übrig sind - kommen noch einmal eigene Strategien ins Spiel, wie die Idee, jemanden auf einem nicht mehr spielbaren Buchstaben "sitzen zu lassen" (ein stick), zu passen - also ohne Zug und ohne Tauschen auszusetzen - oder bewusst einen Bingo nicht zu spielen, wenn das dazu führen würde, dass man von einem Antwortzug wahrscheinlich noch überholt werden würde.

Auch mit dieser Aufzählung kratzt das Ganze hier nur an der Oberfläche. Es ist ein sehr weites Feld und ein Spiel, bei dem man nie auslernt.